Einfach mal „raus“ – Exkursionen für den Distanzunterricht

„Jetzt sind wir falsch abgebogen“, stellt die Dromedarkollegin bei unserem Abstandsspaziergang nüchtern fest. Wir könnten ihn einfach weitergehen, diesen Weg nach der falschen Abbiegung, und irgendwo würden wir schon herauskommen. Weil es in diesen speziellen Zeiten aber unpassend wäre, einem Weg ins Irgendwo zu folgen, wenn es auch einen viel schöneren Weg gäbe, kehren wir um:

Wir nehmen doch den Abzweig nach links, überqueren die vielbefahrene Straße, wo die LKWs an uns vorbeirauschen, den Bahnübergang und die drei Spaziergänger, die sich angesichts der Kontaktbeschränkungen schon fast wie eine Gruppe anfühlen. Und dann liegt er vor uns: Der schöne Weg, so verschneit wie wir es in unseren Breiten gar nicht mehr gewohnt sind und so eisig, wie wir gedacht hatten, dass es in diesem Winter nicht mehr werden würde. Die schneebedeckten Felder glitzern in der Sonne des schönen Wetters, das sich rar gemacht hat in den letzten Wochen, sodass man sich glatt wünschen könnte, man hätte einen Liegestuhl und eine besonders dicke Decke, um die Strahlen stundenlang in sich aufsaugen und einen Vorrat von ihnen anlegen zu können.

Reif für die Insel!

Wie wichtig sie sind, die schönen Wege, wird uns #BayernEdu|s, so befürchte ich, in der nächsten Woche besonders deutlich werden, denn eigentlich hätten wir „Winterferien“ (auch bekannt als Faschingsferien) genießen dürfen. Stattdessen, so der politische Beschluss, werden wir Präsenzunterricht nachholen, der gar nicht ausgefallen ist, und sicherlich das eine oder andere Mal daran denken, dass Ferien allen Beteiligten sicherlich gut getan hätten, weil wir entgegen aller landläufigen Meinungen im Distanzunterricht gleich viel oder sogar mehr arbeiten und deswegen sicherlich ziemlich „Reif für die Insel“ sind.

Was aber tun, wenn eine Woche lang Film gucken ermüdend ist und außerdem beim Gucken per Videokonferenz das Popcorn-Feeling auf der Strecke bleibt? Und vor allem: Wie kann das mit der heiligen Pflicht der Lehrplanerfüllung zusammengehen, sich eine Woche lang (oder gern öfter, aber das habt ihr nicht von mir…) mal den schönen Wegen zu widmen?

Je öfter ich „(Bullshit-)Bingo!“* schreien muss, wenn Journalisten dieser Tage wieder die Buzzwords von der „Verlorenen Generation“ durchs mediale Dorf treiben, desto mehr übe ich mich darin, dem Lehrplan Rechnung zu tragen – aber so, dass wir ihn mögen. Je mehr ich davon lese, dass nur der Präsenzunterricht „den Stoff“ in die Köpfe der Kinder bringe, desto mehr übe ich mich darin, kleine, aber denkwürdige Momente zu schaffen – wohl wissend, dass mir das nicht immer gelingt, mir selbst aber rein prozentual deutlich mehr Erinnerungen von den außergewöhnlichen Ereignissen in meinem Schulleben geblieben sind als vom Alltag und schon allein deswegen das Ausprobieren lohnt.

*Ich beziehe mich ausdrücklich auf den fehlenden Stoff, nicht auf soziale Folgen und familiäre Krisensituationen!

Klassenfahrt statt Ferien

Eine der Möglichkeiten, Lehrplanbezüge herzustellen und trotzdem keinen „normalen Distanzunterricht“ zu machen, sind digitale Exkursionen – beispielsweise im Fach (Politik und) Geschichte, aber auch in allen anderen Fächern, in denen Orte eine Rolle spielen. Nachdem ich in den vergangenen Wochen damit in drei verschiedenen Jahrgangsstufen Erfahrungen gesammelt habe, möchte ich in diesem Beitrag ein paar Ideen vorstellen und natürlich Möglichkeiten der technischen Realisierung aufzeigen:

Was brauche ich dafür?

  • Tools:
    • Google Maps & Street View/360°-Fotos oder
    • Videos & andere 360°-Panoramen des gewünschten Ortes
    • ein Tool, um Arbeitsauftrag & Links zur Verfügung zu stellen (z.B. Lernplattform, ZUMPad, Padlet, ThingLink)
    • evtl. ein Tool, um den Schüler:innen die Zusammenarbeit zu ermöglichen, z.B. Lernplattform + Videocall/ Anruf + Etherpad
  • einen Arbeitsauftrag mit Lebensweltbezug
  • motivierte Schüler:innen (ggf. im Distanzunterricht) mit digitalen Endgeräten und Internetzugang

Für Einsteiger: Weiße Rosen Postkarten aus Athen

Zuerst möchte ich mein kleines Einsteiger-Setup vorstellen, weil damit im letzten Schuljahr alles begann: Die Sechstklässler:innen, mit denen ich gerade mitten in der griechischen Antike steckte, bekamen von mir den Auftrag, die Akropolis digital zu besichtigen und anschließend eine Postkarte mit ihren Eindrücken zu verschicken.

Dafür musste ich damals nur den Arbeitsauftrag mit ein paar Zeilen Text (bzw. eine Audioaufnahme) und den Link zu einem ausgewählten 360°C-Panorama verschicken und fertig war der Auftrag. Ich erhielt nicht nur Fotos von Postkarten, die an Freunde & Familie verschickt wurden (das war der Auftrag), sondern bekam sogar einen Scan direkt aus dem Sekretariat der Schule geschickt, wo eine Postkarte für mich angekommen war. ?

Ab ins Museum: Haltern am See

Ebenfalls mit wenig Aufwand für mich zu realisieren, war ein Museumsbesuch, den wir im Sommer des letzten Schuljahres durchführten: Das LWL-Römermuseum und die Römerbaustelle Aliso sind virtuell begehbar und so freute sich mein Historikerinnenherz, denn ich schlug die zwei Fliegen Museumsbesuch und experimentelle Archäologie mit einer Klappe.

Den Schüler:innen gab ich einfache Beobachtungsaufträge, die wir im Präsenzunterricht (damals galt Wechselunterricht) gemeinsam besprachen. Im Gegensatz zu Hefteinträgen und Quizfragen konnten sie sich an diese Exkursion auch eine Woche später noch so gut erinnern, dass die Stunde wie im Flug verging. ?

Nürnberg – Ein Fall für den Jahresbericht!

„Am 25.01.2021 besuchten meine Klasse, die W7, und unsere PuG-Lehrerin Frau Wahl die Stadt Nürnberg, weil wir uns im Unterricht gerade mit dem Mittelalter beschäftigt haben.“

So oder so ähnlich begannen viele Texte, die ich heute nach dem Spaziergang mit der Dromedarkollegin noch gelesen habe.

Nachdem sich der Distanzunterricht in den vergangenen Wochen eingrooven konnte und die Schüler:innen (und natürlich auch ich ?) immer sicherer mit dem Jonglieren von Videokonferenz, Lernplattform und meinem persönlichen didaktischen Spielplatz Wahlunterricht geworden sind, haben ich mich an einen kooperativen Arbeitsauftrag für mehrere Stunden gewagt: Nachdem sie die wichtigsten Fakten über Städte im Mittelalter gelernt und mit der „Schedelschen Weltchronik“ einen Klassiker der Bildquellen kennengelernt hatten, reisten die Siebtklässler:innen mit einem interaktiven Bild nach Nürnberg und schauten sich nicht nur auf der Kaiserburg, sondern auch auf dem Hauptmarkt und in verschiedenen Kirchen um.

Als Produkt entstanden – um Content für selbigen bemühte Kolleg:innen erahnen es – Artikel für den Jahresbericht, die gemeinsam in Videokonferenzen besprochen worden waren und dann verschriftlicht wurden.

Wer den Arbeitsauftrag genauer anschauen und/oder die eigenen Schüler:innen damit auf die Reise schicken möchte (ich freue mich immer über die Kommentare, die gelegentlich mal bei mir ankommen ?), wird unter diesem Link fündig.

b) Befreiungshalle Kelheim – Und so schließt sich der Kreis

Wie wir Deutschlehrer:innen wissen, ist ein Text dann besonders rund, wenn sich ein Kreis schließt. Umso passender ist es, dass mein letztes Beispiel die Befreiungshalle in Kelheim ist, die sich für diese Metapher schon allein aufgrund des Grundrisses anbietet. ?

Dieses Bauwerk gehört zu den Denkmälern, die ich selbst während meiner eigenen Schulzeit – im Rahmen eines Schullandheimaufenthalts in der 7. Klasse in Ingolstadt nämlich – besuchen durfte und umso begeisterter war ich, als ich feststellen durfte, dass es mit 360-bayern.de eine Plattform gibt, die Panoramen von verschiedenen Sehenswürdigkeiten in großartiger Qualität und mit echtem „Begehbar“-Feeling anbietet.

(Diese Werbung mag schamlos sein, ist aber unbezahlt, unerfragt und kommt von Herzen.)

Als ich dann auch noch merkte, dass diese sogar auf Mobilgeräten problemlos angezeigt wurden, war die neueste Idee geboren und wurde ohne Zeitverzögerung an meine Achtklässler:innen weitergegeben: Nachdem sie gerade heute morgen ihre Recherchen abgeschlossen haben, werden sie sich nächste Woche daran machen, Führungen durch die Befreiungshalle als Screenrecord aufzunehmen und damit der Vorstellung, Denkmalsführer:innen zu sein, so nah kommen, wie es in diesen besonderen Zeiten möglich sein mag. Und vielleicht, vielleicht wird sich sogar die Gelegenheit ergeben, das ein oder andere Ergebnis der Schüler:innen zu zeigen, weil mir der Betreiber, Herr Spitzlberger, im Mail-Kontakt zusicherte, dass dem von seiner (urheberrechtlichen) Seite nichts entgegenstünde… Ich bin so gespannt, das kann ich euch sagen! ☺

Bild: Innenleben des Smartphones: Felix Mittermeier auf Pixabay

Zuguterletzt…

Was bleibt mir abschließend zu sagen? Dass das Spazierengehen nicht so schlecht ist wie sein aktueller Ruf auf Twitter? Dass ich mich mindestens so sehr wie an den Besuch der Befreiungshalle daran erinnern kann, auf eben dieser Klassenfahrt mit der coolsten Lateinlehrerin der Welt einen Döner essen gewesen zu sein? Ich schweife ab…

Ich wünsche euch gute Nerven und Durchhaltevermögen für den Distanzunterricht. Und ich wünsche uns allen, dass die Wege, die wir in diesem Schuljahr noch zu gehen haben, schöne Wege sein mögen…wenn’s sein muss, halt einfach virtuell.

Macht’s gut, habt es fein und vergesst nicht, eine Postkarte zu schicken! 😉

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