Arbeitszeiterfassung in der Schule?

Bis in den März habe ich mich davor gedrückt, über das Februarthema der Blogparade zu schreiben. Denn eigentlich schreibe ich hier nur über Dinge, über die ich gerne schreiben möchte und „Arbeitszeiterfassung in der Schule“ gehört für mich leider nicht dazu. Warum das so ist, das kann man beispielsweise bei Herrn Mess nachlesen, der zu dem Schluss kommt, dass unser Job eben nicht wie jeder andere ist, sondern einer, der – wie auch Timo Off bemerkt – sehr viel Flexibilität erfordert und von der Nutzung der pädagogischen Freiheiten lebt. Ich kann deswegen Jan-Martin Klinges Forderung, ihm stattdessen mehr Freiheit zu geben, absolut nachvollziehen und auch Tobias Schreiner zeigt genau das als Vorteil des aktuellen Deputatsstundenmodells auf. Aber ich sehe auch – und genau das ist der Punkt, der dieses Thema so unliebsam für mich macht – wie Erik Grundmann das grundlegende Problem, dass innerhalb von Kollegien eine massive Ungleichheit bestehen dürfte, wie viele Zeitstunden denn pro Woche für die Schule aufgewendet werden. Die Tatsache, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung diese sichtbar machen würde, würde natürlich noch lange nicht dazu führen, dass sich dadurch etwas ändern würde.

Ganz persönlich…

Ganz persönlich bin ich also sehr nahe an dem, was Thomas Kuban schreibt: Wie anstrengend eine Woche ist, hängt nicht allein von der Zeit ab, die ich in die Schule investiert habe, sondern davon, wie ich sie nutzen durfte oder auch musste: Eine Woche, in der ein Klassensatz Aufsätze auf Bewertung wartet, ist eine andere, als eine, in der es keine schriftlichen Noten zu machen gilt und in der ich mehr Zeit auf gelungene Unterrichtsstunden, hilfreiches Feedback und den Kopf freipustende Radtouren verwenden kann. Und auch eine Woche Schullandheim kann – obwohl am Ende die gleiche Stundenzahl in der Arbeitszeiterfassung stehen müsste – einen ganz unterschiedlich fordern und den Erholungsbedarf länger oder kürzer ausfallen lassen.

Ich habe mich und meine Arbeitskraft in den letzten neun Jahren gut genug kennengelernt, um von mir sagen zu können, dass ich gut zurechtkomme. Trotz Korrekturbelastungsspitzen und der Tatsache, dass ich immer noch nicht die Erfahrung des reichen Ressourcenschatzes zu haben, den diejenigen aufweisen können, die den Lehrplan einer Schulart mal komplett durchgespielt haben und die dementsprechend nicht ständig mit neuer Vorbereitung konfrontiert sind. (Falls dir der Kontext fehlt, hier der Link zu meiner Odyssee der 6 Schulen und 4 unterschiedlichen Schularten). Gerade die Erfahrung des ständigen Neu-Anfangens und der immer wieder veränderten Anforderungen hat mich gelehrt, dass es nicht darauf ankommt, immer perfekt vorbereitet zu sein, sondern die richtigen Prioritäten zu setzen. Und dazu gehört für mich beispielsweise auch die Prämisse, dass ich den Arbeitsaufwand rund um mein Vollzeitdeputat so anpassen muss, dass es im für Vollzeitarbeit definierten zeitlichen Rahmen leistbar sein muss. Unterstützt werde ich dabei beispielsweise davon, dass es in den letzten Jahren durchaus auch „oben“ angekommen ist, dass Arbeitserleichterungen nottun.1

…und als Rechtsstaats-Ultra

Das ist aber nur eine Seite der Medaille, denn als Sozialkunde-Lehrerin bin ich auch in der Fankurve des Rechtsstaats beheimatet und das EuGH-Urteil besagt nun einmal, dass es eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gibt. Wenn sich ausgerechnet der Staat als Arbeitgeber davon ausnimmt, dann finde ich das zumindest diskussionswürdig. Als Geschichtslehrerin weiß ich darum, dass Arbeitszeiterfassung, Acht-Stunden-Tage, Streikrecht und Gewerkschaften Errungenschaften sind, die nicht nur hart erkämpft wurden, sondern ohne die wir auch ganz schön dumm aus der Wäsche gucken würden.

Und als Kollegin weiß ich, dass ich eben auch Glück habe, meine Ansprüche an mich selbst und meinen Unterricht mit der verfügbaren Zeit in Einklang zu bringen, dass ich (Grüße gehen raus an meine Freundinnen, die ein paar Jährchen älter sind als ich) noch nicht in dem Alter bin, in dem man immer häufiger darüber redet, dass die Dinge früher leichter von der Hand gingen, und dass ich gerade in Sachen Digitalisierung einfach durch mein großes Interesse an Endgeräten letztlich einen ziemlichen Vorsprung bei einem Thema, das andere gerade richtig viel Zeit kostet, mit in den Job gebracht habe. Noch dazu bin ich bei manchen Unterrichtsprojekten einfach so nerdig unterwegs, dass ich sie nicht als Arbeit empfinde, weil die Neugier überwiegt, das mal ausprobieren zu wollen und dann verschwimmen Arbeit und Freizeit halt doch sehr.

Fazit

Ich bin also, was die Frage nach einer Arbeitszeiterfassung betrifft, völlig zwiegespalten. Wer Vorgaben des Rechtsstaates nicht ernst nimmt, schadet letztlich sich und der Demokratie. Wer die Arbeitszeit von Lehrkräften nicht erfasst, lässt ein zentrales Mittel für die Entkräftung von Gerhard Schröders „Faule Säcke“-Stigma weiterhin ungenutzt. Wer die Arbeitszeit von Lehrkräften nicht erfasst, sorgt nicht für eine Steigerung der Gleichwertigkeit von Korrekturen und wichtigen Feedback- oder Elterngesprächen, Klassenfahrten oder außerunterrichtlichen Projekten, denn – Überraschung! – nicht weglassbar ist meistens das, wo am Ende eine Note bei rauskommt.

Wer die Arbeitszeit von Lehrkräften nicht erfasst, erfasst auch die der Referendar*innen nicht… und wenn meine grob überschlagenen Rechnungen richtig sind, arbeiten diese unter Mindestlohn, sobald sie innerhalb der Schulwochen (Ferien schon vollständig abgezogen) mal 40 Stunden überschreiten. Wer die Arbeitszeit von Lehrkräften und Referendar*innen nicht erfasst, lässt die Gelegenheit ungenutzt, beim eigenen Personal systematisch ein Bewusstsein dafür aufzubauen, dass zeitliche Ressourcen begrenzt sein dürfen, was sich dann wiederum auch auf die Arbeit mit den Schüler*innen aufgetragenen Projekten auswirken sollte. Denn auch die arbeiten, gerade dann, wenn sie fleißig und leistungsorientiert sind, gerne mal zu viel, werden in der Debatte aber nicht berücksichtigt, weil es sich ja nicht um Lohnarbeit handelt.

Wer die Arbeitszeit von Lehrkräften aber anfängt zu erfassen, ohne dass sich daraus irgendeine Konsequenz ergibt – sinnvolle Arbeitsreduktionsmaßnahmen, Schaffung von Synergieeffekten, Teamzeiten, weniger Bürokratie und Formalismus, you name it… – der hat am Ende zwar belastbare Zahlen, ganz sicher aber keine zufriedeneren Kollegien. Und auf die Stimmung, die dann im Lehrer*innenzimmer herrscht, habe ich glatt noch weniger Lust als darauf, das einhundertundfünfzehnte Mal von Onkel Gerald mit „Jaja, vormittags Recht und mittags frei!“ begrüßt zu werden.

Wer die Diskussion verfolgen möchte, kann hier weitere Blogartikel dazu lesen (Danke an Erik Grundmann – ich habe deine Auflistung aus „Zeitgründen“ einfach von Susanne Posselt kopiert):

  1. Wie das Beispiel des isb zeigt, wo man mittlerweile jede Menge sachdienlicher Hinweise zum effizienten Korrigieren finden kann. ↩︎
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