tl;dr Nachdem ich „Der vermessene Mensch“ im Kino gesehen hatte, wollte ich den Imperialismus diesmal anders unterrichten. Das ist mir gelungen und nach dem ersten Test mit meiner achten Klasse gibt’s das Ergebnis, ein Pen & Paper namens „Europa Imperialis“, für euch zum Download.

Nachdem die Noten gemacht sind und sich das Schuljahr dem Ende zuneigt, wird es auch Zeit fürs Sortieren. Das neue Schuljahr wird sich für mich an einer anderen Schule abspielen als das gerade zu Ende Gehende und da es auch ein paar Umzugskartons zu packen gilt, überlege ich mir natürlich dreimal, was bleiben darf und was in der Rundablage der gar nicht mal so guten didaktischen Ideen verschwindet.

Was definitiv bleibt, weil ich es als eines meiner Jahreshighlights in der 8. Klasse bezeichnen würde, ist mein erstes didaktisches Pen & Paper, das aus dem Wunsch heraus, den Imperialismus bzw. Kolonialismus inklusive des Völkermords an den Herero und Nama diesmal anders zu unterrichten, nachdem ich „Der vermessene Mensch“ im Kino gesehen hatte, entstanden ist. Der Film war aufwühlend, obwohl oder gerade weil er komplett aus der Täterperspektive erzählt war. Einige Szenen schockierten durch Gewalt und Grausamkeit und obwohl er mit der FSK 12-Klassifizierung eigentlich im Unterricht hätte gezeigt werden können, fand ich ihn doch zu heftig für die Achtklässler:innen. Bisher hatte ich eine Gruppenarbeit, bei der Stationen auf der Weltkarte bereist werden mussten, um ein Gefühl für die globale Dimension zu bekommen. Bei genauerem Hinsehen war mir das aber zu eurozentristisch.

Ob ich aus diesem Thema ein Spiel machen kann, habe ich mir lange überlegt, denn es ist kein Spaß. Was mich letztlich doch dazu veranlasst hat, war eben diese europäische Täterperspektive des Kolonialismus: Wettbewerb um Land, Wettbewerb um Herrschaft, Wettrüsten… nicht zuletzt die schnurgeraden Linien, die man auch heute noch auf der Landkarte des afrikanischen Kontinents finden kann, zeugen davon, dass es bei der Vereinnahmung von Land nicht um geographische/gewachsene Grenzen oder gar Stammesgebiete ging, sondern nur um Machtausübung und Ressourcen. Und während man bei einem klassischen Wettlaufspiel mit Würfeln nicht allzu viele Möglichkeiten hat, in den „Serious Mode“ umzuschalten geht es beim Pen & Paper ja auch, aber nicht vordergründig um Würfel. Viel mehr geht es um die Story, die erzählt wird.

Warum ein Pen & Paper?

Das Pen & Paper-Prinzip kannte ich vor allem von meiner ältesten Freundin Phine, begeistere DSA-Spielerin, und von @teacherrogueone, der für mich durch seine Beiträge auf seinem Blog und Twitter, mittlerweile Mastodon, zur didaktischen Gamification- und Storytelling-Legende geworden ist. Charakterbögen designen und sich ganz in der eigenen Geschichte zu verlieren, das würde ich wirklich gerne mal im Deutschunterricht ausprobieren. Es im Geschichtsunterricht zu versuchen, daran hinderte mich gedanklich eine ganze Weile die fehlende Freiheit: Man kann die Geschichte (history) im Gegensatz zu Geschichten (stories) ja nicht einfach verändern, wenn einem der Sinn danach steht oder die Würfel es befehlen. Dabei ist das eigentlich – zumindest verstehe ich es so – der Reiz von P&P.

Dennoch bin ich mit meinem Erstlingswerk aus didaktischer Perspektive ebenso wie im Hinblick auf das Schüler:innenecho* durchaus zufrieden und ich bin guter Dinge, die Anleitung so formuliert zu haben, dass es nicht nur P&P im Sinne von „Pen & Paper“, sondern auch P&P im Sinne von „Print & Play“ sein sollte. Ein Würfel und ein paar Buntstifte sollten sich zu den Kopien noch auftreiben lassen und dann kann es auch schon losgehen:

Didaktische Ziele

  • In der Vorstellungsrunde lernen die Spieler:innen ihre Charaktere (Bismarck, Wilhelm II., Cecil Rhodes, Jules Ferry) anhand von Textquellen kennen und erfahren etwas über deren Rolle/Position zum Kolonialismus.
  • In der ersten Quest werden die Kolonien durch klassisches Würfeln erworben, dadurch werden auch gleich die geographischen Kenntnisse etwas aufgefrischt und es ist eine gute Gelegenheit, Bismarck als Reichskanzler loszuwerden und gegen Bernhard von Bülow zu ersetzen.
  • Die zweite Quest ist inhaltlich schon deutlich anspruchsvoller: Verschiedene Karikaturen werden analysiert, um den Imperialismus kritisch aus zeitgenössischer Perspektive zu betrachten.
  • Die dritte Quest beinhaltet noch einmal eine Würfelrunde, die dem Wettrüsten der Flotte dient.
  • In der vierten Quest geht es dann um den Völkermord in den deutschen Kolonien sowie den Boxeraufstand. Hier soll ein Perspektivenwechsel vollzogen werden, sodass der Blickwinkel der Einwohner*innen der Kolonien neben den der charaktergebenden Spielfiguren ins Zentrum rückt. Dafür werden Erklärvideos arbeitsteilig bearbeitet, um anschließend gemeinsam eine Bildquelle zu analysieren.
  • Die fünfte Quest bildet den Aktualitätsbezug: Es geht um die Anerkennung des Genozids an den Herero, die Perspektive der Nachfahren und die Frage, wie viel wir eigentlich vom riesigen Kontinent Afrika wissen, der in den Nachrichten häufig wie ein riesiges Land behandelt wird.

*Es hat sich herumgesprochen. Ich meine, hallo, wie häufig sprechen Achtklässler:innen untereinander über Unterrichtsmethoden?

Und dann…?

Damit sind die Schüler:innen, wenn es aus didaktischer Perspektive gut läuft, am Ende vielleicht gar nicht mal mehr so gerne die Charaktere, deren Charakterbögen sie zu Beginn ausgefüllt haben. Urteilskompetenz? Check.

Vielleicht haben sie weniger „gespielt“ und mehr „Geschichte gemacht“, als sie anfangs dachten… So richtig mit Textquelle, Bildquelle, Karikatur. Methodenkompetenz? Check.

Eine Geschichte werden sie am Ende auch erzählt haben. Weniger frei als vom Spielprinzip eigentlich vorgesehen. Aber auch das Nacherzählen kann eine Kulturtechnik sein, wenn man die nötige Narrationskompetenz trainiert und in der Geschichtswissenschaft ist es eben einfach notwendig, um zu erfahren, was gewesen ist und im besten Fall nicht nur darüber, sondern auch daraus zu lernen.

Ich werde „Europa Imperialis“ wieder aus dem Schrank holen, wenn ich erneut eine 8. Klasse bekomme. Derweil hoffe ich, dass der*die eine/andere von euch Lust hat, ebenfalls ein bisschen P&P in den eigenen Unterricht einziehen zu lassen. Eure Rückmeldungen sind mir stets herzlich willkommen!

Download

Sowohl die sofort druckbereite PDF-Datei als auch die anpassungsfähige .pptx-Datei können über das Dromedar-Drive* heruntergeladen werden.

Als Schriftarten werden (für die korrekte Darstellung der .pptx-Datei) benötigt:

  • Grobe Deutschmeister
  • Bahnschrift
  • Waschkueche

Bitte beachten: Einzelne Gestaltungselemente in der Präsentation sind gesperrt. Diese Funktion nutze ich, um bei Folien mit vielen Elementen das versehentliche Verschieben zu verhindern. Rechtsklick » Entsperren führt dazu, dass die Elemente wieder frei verschoben/gelöscht usw. werden können.

*externer Link zu GoogleDrive

Quellen- und Bildnachweis

BildinhaltVerwendung
Gezeichnete Weltkarte2, 3CC-BY-SA 4.0 Kristina Wahl 2018
Piktogramme3-8, 11MS Office Piktogramm-Datenbank
Foto von Bismarck3, 9Gemeinfrei (1886), VÖ: Wikimedia Commons
Porträt von Wilhelm II.3, 9Gemeinfrei (1902), VÖ: Wikimedia Commons
Porträt von Cecil Rhodes3, 9Gemeinfrei (1900), VÖ: Wikimedia Commons
Porträt von Jules Ferry3, 9Gemeinfrei (1897), VÖ: Wikimedia Commons
Porträt von Bernhard von Bülow3, 10CC-BY-SA 3.0 (Bundesarchiv), VÖ: Wikimedia Commons
Karikatur „The Rhodes Colossus“5, 12Gemeinfrei (1892), VÖ: Wikimedia Commons
Karte zur Kap-Kairo-Linie12CC-BY-SA 3.0 Classical Geographer
Karikatur „Honi soit…“5, 12Gemeinfrei (1899), VÖ: Das Britische Empire
Karikatur „No fight“5, 12Gemeinfrei (1898), VÖ: Wikimedia Commons
Karikatur „La Conférence de Berlin“5, 12Gemeinfrei (1885), VÖ: NZZ
Der Große Kreuzer S.M.S. von der Tann6Gemeinfrei (1909), VÖ: Wikimedia Commons
Postkarte „Eine Kiste mit Hereroschädeln“7Gemeinfrei (1907), VÖ: dandc.eu
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