Sollte man Krieg spielen? Meine persönliche Antwort lautet „Nein.“ Ich stehe zwar durchaus auf Computerspiele, was ich auch auf diesem Blog didaktisch schon unter Beweis gestellt habe – zum Beispiel mit der Sequenz zur Französischen Revolution – aber Kriegsspiele zocke ich nicht.
Andere Leute schon. Sieht man sich die Wikipedia-Liste der Computerspiele in der Kategorie „Zweiter Weltkrieg“ an, kann man leicht auf die Idee kommen, dass das ein sehr beliebtes Genre ist, mit dem sich Geld verdienen lässt, denn sie hat ziemlich viele Einträge. Auch Rankings der „Besten Spiele im Zweiten Weltkrieg“ verstärken den Eindruck, dass es sich dabei um ein „populäres Setting“ handelt. Es ist also mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass auch viele unserer Schüler*innen, die Computerspiele spielen, mit diesem Genre in Kontakt kommen.
Was ist denn eigentlich das Problem mit Kriegsspielen?
Fragt man nach dem Problem mit Kriegsspielen, kommt man wahrscheinlich an der immer wieder aufflammenden Debatte um reißerisch „Killerspiele“ genannte Ego-Shooter inklusive „Verbieten!1!!11!“-Reflex nicht vorbei, auch wenn die Expert*innenmeinung hierzu relativ eindeutig scheint: Die meisten Spielenden können zwischen Realität und Spiel durchaus unterscheiden und werden nicht durch das Spielen radikalisiert.
Solcherlei Einschätzungen fallen nicht in mein didaktisches Ressort als Geschichtslehrerin, vielmehr geht es mir um die Frage, wie das Geschichtsbild Jugendlicher durch diese Spiele geprägt wird. Was bleibt hängen, wenn man beispielsweise den Zweiten Weltkrieg in Computerspielen nachspielt? Was weiß man über Frontverläufe, politische Hintergründe, menschliches Elend? Was fühlt man, wenn man dem Wort „Krieg“ begegnet, wenn die Vorstellung davon aus Nachrichtenbildern aus „fernen“ Ländern auf der einen und dem Mittendrin-Sein der Egoperspektive ODER dem strategischen Verschieben von Divisionen, die nur als Zahl abgebildet werden, auf der anderen Seite besteht?
Nachdem ich mir für meine aktuelle Unterrichtsidee, den Kriegsverlauf von Ausschnitten aus Games zu unterrichten, mehr als acht verschiedene Games angesehen habe, musste ich zu dem Schluss kommen, dass obwohl überall natürlich „geballert“ wird, sehr unterschiedliche Eindrücke hängen bleiben:
Vogelflüge und Egoshooter
Wer „Blitzkrieg Anthology“ oder „Sudden Strike IV“ spielt, steuert Panzer und Infanterie und hält dabei relative Distanz aus der Vogelperspektive. Zockt man „Attack on Pearl Harbor“ oder „Wings of Prey“, ist man als Flugzeugpilot sogar noch weiter oben unterwegs. Begibt man sich mit „Hearts of Iron IV“ auf den Russlandfeldzug, hat man es vor allem mit Zahlen auf einer politischen Karte zu tun und damit mit so ziemlich der abstraktesten aller Darstellungsformen. So richtig „nah ran“ kommt man eher mit dem „WW2 Battle Simulator“ in Roblox (allerdings schaut es ein bisschen aus, als seien Legomännchen in der Normandie gelandet) und „Company of Heroes 2“ bringt einen sehr nah ran an Berlin kurz vor der Kapitulation.
Um erschreckend nah an dem zu sein, was Krieg als 1st Person-Erfahrung wirklich bedeutet, muss man aber schon „Call of Duty“ spielen. Und das ist mit USK 18 erst für Volljährige freigegeben. Aus gutem Grund, möchte ich meinen, denn als ich mir für die Recherche Walkthrough-Videos auf Youtube angesehen habe, musste ich wegen der Mengen an Blut und der Vielzahl an Leichen doch erst eine Weile Vor- und Zurückspulen, bis ich kurze Ausschnitte aus der Kampagne gefunden hatte, die eben diese nicht enthalten, mit denen man – je nach Altersgruppe, die gerade vor einem sitzt – zumindest einen Blick erhaschen kann auf die Perspektive, die der der Zeitzeug*innen am allernähesten gekommen sein mag.
Didaktische Ziele
Dass ich es trotz der für konstruktiven Umgang wichtigen Vorbehalte für unausweichlich halte, sich mit Kriegsdarstellungen in Games zu beschäftigen, ergibt sich aus den bisherigen Erfahrungen, die ich mit dem Unterrichten des Zweiten Weltkriegs gemacht habe: Während die meisten Schüler*innen erwartbar wenig über den Kriegsverlauf wissen, bevor wir ihn im Unterricht besprechen, sind immer einzelne dabei, die den Kriegsverlauf und die Frontlinien zu verschiedenen Zeiten besser auswendig kennen als ich.1 Während ich mich ehrlich über ihr Interesse freue, halte ich es gleichsam für ein wichtiges Ziel des Geschichtsunterrichts, Kriege nicht nur aus der Perspektive ihres Ergebnisses (Grenze auf Landkarte alt. Grenze auf Landkarte neu. Opferzahl in Tausend.) zu unterrichten, sondern sichtbar zu machen, was Krieg für die beteiligten Soldaten und insbesondere natürlich für die Zivilbevölkerung bedeutet.
Also verfolge ich mit dem Material, das ich in diesem Beitrag zur Verfügung stelle, einen multiperspektivischen Ansatz:
- Aussagen der Beteiligten: durch Textquellen im Buch2 werden die Schüler*innen zunächst für die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung sensibilisiert
- Ereignisgeschichte:
- durch Informationstexte erfahren die Schüler*innen etwas über ausgewählte wichtige Ereignisse:
- Überfall auf Polen
- Westfeldzug
- Luftschlacht um England
- Russlandfeldzug
- Pearl Harbor
- Stalingrad
- Landung in der Normandie
- Bedingungslose Kapitulation
- durch Informationstexte erfahren die Schüler*innen etwas über ausgewählte wichtige Ereignisse:
- Repräsentation in Games: in kurzen Videoausschnitten sehen sie sich deren animierte Darstellung an
- Reflexion: anschließend sollen sie beurteilen, welche Game-Darstellung sie als besonders realitätsnah bewerten würden und beurteilen, inwiefern man durch das Kennenlernen der Thematik durch (einzelne) Games Gefahr läuft, ein verzerrtes Bild des Krieges zu entwickeln
In der folgenden interaktiven Grafik sind die verschiedenen Games mit passenden Ausschnitten verlinkt, dazu geeignete Informationsmaterialien:
Nerdiger Einwurf: Besonders geschickt wäre es natürlich, wenn man die Videos schneiden und direkt mit den Infotexten kombinieren würde, sodass die Schüler*innen die Text-Bild-Schere erleben können. Möglicherweise könnte das sogar Clipchamp (Windows Onboard-Tool) mit einem KI-generierten Voiceover. Da so etwas hier zur Verfügung zu stellen allerdings diverse Copyright-Verstöße mit sich brächte, bleiben wir hier aber bei der Variante Links + Infotexte...
Download des Übersichtsblattes
Diese Übersicht hatte ich mir zur Orientierung erstellt, vielleicht kann es jemand gut brauchen, um sich Notizen zu machen oder es den Lernenden mit einem speziellen Arbeits-/Beobachtungsauftrag auszuteilen. Nur die Ereignisse, die Spielnamen und die -mechaniken eintragen zu lassen, wäre meiner Meinung nach sehr dünn, schließlich würde das nur Kompetenzen des Anforderungsbereich I umfassen… Weiteres Material habe ich aber bewusst nicht erstellt, denn diese Unterrichtseinheit von 1-2 Stunden (je nachdem, wie viele Ausschnitte man betrachtet und wie man sie einbettet), lebt vor allem vom Austausch über das Gesehene.
Bildnachweis
Station in der Grafik | Quelle/Lizenz |
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(1) Überfall auf Polen | Wikimedia Commons (gemeinfrei) |
(2) Westfeldzug/Einmarsch in Paris | Wikimedia Commons/Bundesarchiv (CC-BY-SA 3.0) |
(3) Luftschlacht um England | Wikimedia Commons (gemeinfrei) |
(4) Russlandfeldzug | Wikimedia Commons/Bundesarchiv (CC-BY-SA 3.0) |
(5) Pearl Harbor | Wikimedia Commons (gemeinfrei) |
(6) Stalingrad | Wikimedia Commons/ RIA Novosny (CC-BY-SA 3.0) |
(7) D-Day | Wikimedia Commons (Gemeinfrei) |
(8) Bedingungslose Kapitulation | Wikimedia Commons (Public Domain) |
Fazit
Auch wenn es sich bei diesem Beitrag und dem darin enthaltenen Material nicht um einen (hier sonst üblichen) Plug & Play-Ansatz handelt, den die Schüler*innen bestenfalls sogar alleine und selbstgesteuert durchführen können, hoffe ich, dass ich euch dazu anregen kann, mit dem Einsatz von (einzelnen) Ausschnitten im Unterricht zu experimentieren.
Als (pop)kulturelles Phänomen sind Games längst nicht mehr wegzudenken, aber „Der Markt wächst!“ allein ist natürlich kein valides Argument. Dass jedoch je nach Auswahl der Szenen wahlweise ein bezüglich der Kriegsopfer gleichgültiges Bild entstehen oder Anschaulichkeit im Übermaß erzeugt werden kann, bietet (Reflexions-)Potenzial für unseren Unterricht, in dem es ja auch immer darum gehen muss, die in der Gesellschaft entstehenden Geschichtsbilder zu hinterfragen.
Ich wünsche euch gute Erkenntnisse beim Ausprobieren & freue mich wie immer über Rückmeldungen! 🤗
Alles Liebe
Kristina
- Zugegebenermaßen war und wird das auch nie der Schwerpunkt meines historischen Auswendiglerninteresses. ↩︎
- In Forum Geschichte 9 (Ausgabe Gymnasium Bayern) sind auf S. 78/79 der Erlass Hitlers über die Kriegsführung im Osten, der Bericht des Obergefreiten Müller von der Ostfront und die Zeitzeuginnenaussagen von Jelena Michailowna Nikitina und Tanja Sawitschewa während der Hungerblockade von Leningrad abgedruckt. ↩︎