Ohne Jens wäre die Wiederherstellung dieses ellenlangen und doch für mich und diesen Blog so wichtigen Artikels eine Sisyphusarbeit geworden, deswegen stelle möchte ich unbedingt sagen:
Abstract
Worum geht’s? | Nun habe ich schon so viel über die Digitalisierung des Lehrens und Lernens geschrieben, habe Tools vorgestellt und Tutorials geschrieben, aber wir haben uns noch nicht der Frage gewidmet, warum es auch für Dich gewinnbringend sein kann, Dich der Digitalisierung des Lehrens und Lernens zu verschreiben. Weil es gerade für Neulinge im Bereich der Digitalisierung wichtig ist, zu wissen, warum sie Zeit und Nerven (die wohl wichtigsten Ressourcen im Lehreralltag) auf den Erwerb von Expertise in diesem Bereich verwenden sollten, begeben wir uns heute auf Spurensuche nach den lohnenswerten Aspekten der Digitalisierung.
Prolog
Als ich begonnen habe, meine Tutorials zu schreiben, habe ich an vieles gedacht: Wo fängst du am besten an, um möglichst viele KollegInnen (KuK) abzuholen? Welche einzelnen Kapitel sind notwendig? Gehen wir gleich in die Vollen und lassen die SchülerInnen (SuS) auch was an den Endgeräten machen oder kümmern wir uns erst einmal darum, dass bei der Lehrkraft die Expertise vorhanden ist, bevor wir die „DigitalNatives“ ans Gerät lassen? Ich habe dazu nach bestem Wissen Entscheidungen getroffen, bin dabei aber stillschweigend immer von der Bedingung ausgegangen, dass diejenigen, für die ich diese Tutorials schreibe, willens sind, ihren Unterricht zu digitalisieren. Dabei hatte ich von Anfang an als Zielgruppe die KuK im Kopf, die immer wieder auf mich zukommen, weil sie wissen wollen, wie etwas geht, die ausprobieren wollen, gerne Tipps annehmen, sich über neuen Input freuen und die Altes über Bord werfen, sobald es sich als überholt erwiesen hat oder sie einen Weg kennenlernen, wie sie sich das Leben erleichtern können.
Ich erlebe häufiger starke Aufgeschlossenheit und schwaches WLAN als umgekehrt. Das heißt allerdings nicht, dass es keine Miesepeter und Schlechtmacher gäbe. Nun habe ich überhaupt gar nichts gegen ein bisschen begründete Skepsis, denn wenn Neuerungen nur euphorisch aufgenommen würden, fehlte die kritisch-reflexive Basis, die es unbedingt braucht, um auch mit dem Neuen wiederum Entwicklungen anzustoßen. Denn nichts ist fataler als Stillstand. Aber bei Fortschritten, die ohnehin nur stockend vorankommen, ist jeder Miesepeter (also jemand, der nicht konstruktiv-skeptisch ist, sondern einfach aus Prinzip dagegen) einer zu viel. Er könnte die, die selbst noch nach dem Trial-and-Error-Prinzip ausloten, zum Verstummen und zur Resignation bringen, bevor sie überhaupt wissen, was überhaupt alles möglich ist.
Geht man neue Wege, dann braucht es eine große Portion Optimismus und Idealismus, ebensoviel (Selbst-)Reflexion, aber vor allem braucht es Bestärkung, denn manchmal kommt selbst der glühendste Digitalisierungsverfechter an einen Punkt, an dem er sich wünscht, doch einfach „alles wie vorher“ zu machen, wenn es mal nicht so läuft, wie er es gern hätte.
Weil ich mir wünsche, dass wir alle im Alltag ein bisschen weniger DonQuijote und mehr Power[Point]Woman sein dürfen, widme ich nun der Frage danach, warum wir uns auf die Digitalisierung des Lehrens und Lernens einlassen sollten oder – miesepetrig gefragt – ob es denn wirklich die Mühen wert ist, sich mit dieser ganzen neuen Technik auseinanderzusetzen.
Begleitmaterial: Prezi zum Artikel
Zu diesem Artikel gibt es als Visualisierung und für den schnellen Überblick eine Prezi*, die unter diesem Link abgerufen werden kann. Um den Lesefluss für diesen Text zu gewährleisten, habe ich die wichtigsten Folien, die der genaueren Erklärung bedürfen, eingefügt – hin- und herklicken müsst ihr also nicht.
*Prezi ist ein Präsentationsprogramm, im Grunde ähnlich wie PowerPoint, allerdings sind die Folien nicht als einzelne Blätter nacheinander geschaltet, sondern die Präsentation besteht quasi aus einem Gesamtbild, in das hineingezoomt wird, wodurch die Präsentation dynamisch wirkt. (Am besten ist es wohl, du klickst einfach mal auf den Link & schaust dir die Prezi an, dann wird es wohl klarer, was ich hier gerade umständlich zu erklären versuche…)
Einstieg: Die Evolution des Schreibtisches
Wenn ich KollegInnen Aspekte der Digitalisierung näherbringen möchte, geht es mir wie im Unterricht: Ich muss zuerst feststellen, an welchem Punkt sie stehen, und dabei bemerke ich oft, dass sie das Fragen nach konkreten Hilfestellungen Überwindung kostet: Vielfach begegne ich einer Unsicherheit, die aus dem Eindruck resultiert, dass ihnen andere meilenweit voraus sind und dass sie einen als uneinholbar empfundenen Vorsprung einholen müssten.
Dieses Gefühl ist eines, das uns vertraut ist, mit dem wir aber dennoch hadern: Wir gehen täglich in den Unterricht und dabei wird uns immer die Rolle eines Experten zugewiesen. Selbst dann, wenn wir nicht als fachliche Experten fungieren, weil wir die SuS möglichst frei arbeiten lassen möchten, haben wir den Lernprozess vorbereitet und leiten ihn als professionelle Lernbegleiter an. Wir sind es gewohnt, gemeinsam mit der Lerngruppe Fragen zu stellen oder sie spannende Fragen finden zu lassen – gleichzeitig ist es aber auch unsere Aufgabe, einen Lernweg zu gestalten, durch den sie zu Antworten gelangen können. Unterrichten funktioniert nicht ohne Expertise und selbst dann, wenn wir alle Prinzipien induktiver und schülerorientierter Erarbeitung beherzigen, halten wir letztlich (fast) immer die Fäden in der Hand, denn das ist unser Job.
Immer dann, wenn wir als Lehrende wieder zu Lernenden werden, müssen wir genau diese gewohnte Haltung über Bord werfen, um zu Entdeckern werden zu können. Wie unseren SuS bereitet uns das keine allzu großen Schwierigkeiten, wenn der Gegenstand klar eingegrenzt und das Lernziel in kurzer Distanz erreichbar sind. Je weiter unser Lernstand aber vom definierten Ziel entfernt ist, desto unsicherer sind wir am Ausgangspunkt, weil wir uns einer Fülle von Anforderungen gegenüber sehen, die bewältigt werden wollen. Handelt es sich um Aufgaben, die wir bereits lösen können, haben wir berechtigterweise Zweifel, warum wir uns neue Lösungswege erschließen und darauf Zeit verwenden sollten.
Deswegen sehen wir uns, bevor wir uns den Argumenten widmen, ein kurzes Video zum Einstieg an:
Wie in einer Unterrichtsstunde kann es uns helfen, zu Beginn unseres Lernens unser Vorwissen zu aktivieren, um uns auf den Gegenstand vorzubereiten und um zu sehen, dass wir nicht vollkommen „blank“ in diesen Lernprozess gehen: Das Video zeigt eindrucksvoll, wie sich die Evolution des Schreibtisches in den letzten 37 Jahren (!) vollzogen haben kann – und verweist damit natürlich auch auf ein Konzept wie ein „papierloses Arbeitszimmer“. Dies ist in Anbetracht der technischen Möglichkeiten zwar längst einen potentielle Realität geworden, stellt aber im Schulalltag häufig noch eine Utopie dar.
Gleichzeitig – und das bezwecke ich mit diesem Einstieg – wird jeder Betrachter feststellen können, dass auch sein Arbeitsplatz Veränderungen durchlaufen hat, wie sie im Video zu sehen sind, dass also gewisse Aspekte des digitalen Arbeitens auch bei ihm bereits Einzug gehalten haben. Natürlich sieht jeder unserer Schreibtische anders aus – auf dem einen findet sich vielleicht noch ein Faxgerät, auf dem anderen liegt nur noch ein iPad, auf einem wieder anderen dominiert die Zettelwirtschaft, der andere hat sich schon den großen Brockhaus als CD-Rom gegönnt, als das noch als Sittenverfall gebrandmarkt wurde. Aber das ist eigentlich gar nicht weiter tragisch, denn: Auch wenn wir uns um kollaboratives Arbeiten bemühen, ist (und bleibt auf absehbare Zeit) ein Großteil unserer Arbeit hochgradig individualisiert.
Deswegen geht es auch bei der Digitalisierung nicht darum, sich einen Schuh anzuziehen, der einem gar nicht passt, sondern darum, die Möglichkeiten zu kennen, um für sich selbst und für die verschiedenen Lerngruppen das bestmögliche Ergebnis (im Sinne gut zu bewältigender und relevante Lernerggebnisse hervorbringender Arbeitsprozessese) erreichen zu können.
Begriffsklärung
Auch wenn das Video den Begriff der Digitalisierung hoffentlich schon mit etwas Anschaulichkeit gefüllt hat, nehmen wir uns im Anschluss an diesen Einstieg eine Begriffsklärung vor. Dabei geht es nicht darum, die aktuelle Debatte um die Digitalisierung vollständig in treffend ausgewählten Schlagworten abzubilden (was nach meinem Dafürhalten nahezu unmöglich ist), sondern um die Einigung auf Begriffsinhalte, mit denen wir arbeiten können:
- „Digitale Medien“ dient als Sammelbegriff für Endgeräte, die auf Computertechnik basieren (Smartphones, Tablets, PCs & Notebooks) bzw. für alles, was man mit diesen während der Nutzung anstellen kann. Verglichen mit klassischen Medien, die zuvor im Unterricht eingesetzt wurden, verschwimmen einst klare Grenzen, beispielsweise dann, wenn auf Webseiten Text, Bild und Ton nebeneinander präsentiert werden, wofür zuvor Arbeitsblatt, OHP und CD-Spieler gebraucht wurden.
- „Digitalisierung“ wird als Begriff für die Vorgänge gebraucht, die der Wechsel von analogen zu digitalen Medien mit sich bringt. Während man dabei wahrscheinlich aus Gewohnheit zunächst an den Ersatz „alter“ durch „neue“ Medien denkt, gelangt man durch einen größeren Kenntnisstand über digitale Medien zur Erkenntnis, dass es sich um einen Transformationsprozess handelt, der nicht nur die Medien, sondern auch die Arbeits- und Herangehensweisen des Lehrens und Lernens tiefgreifend verändern kann:
Liegt es zu Beginn nahe, bekannte analoge Medien durch digitale zu ersetzen, kann man durch Übung der digitalen Fertigkeiten kombiniert mit entsprechendem fachlichem Input zu einer variantenreichen und reflektierten Nutzung der digitalen Medien gelangen. Je sicherer der Lehrende in der Handhabung wird, desto leichter wird es ihm fallen, auch die SuS darin anzuleiten bzw. ihre bereits vorhandenen Kenntnisse in den Unterricht einzubinden.
Nutzt man die dM variantenreich und reflektiert, liegt es durchaus im Rahmen des Möglichen, das Unterrichts- und Bildungsverständnis zu revolutionieren bzw. zumindest nachhaltig zu verändern. Die Digitalisierung bietet bisher ungeahnte Potenziale, didaktische Prinzipien umzusetzen und darauf aufbauend neue zu entwickeln. Mit diesen Überlegungen ist bereits ein Verweis auf die letzte Begründungsdimension verknüpft, in der es um mit der Digitalisierung einhergehende Visionen gehen wird. Aber eins nach dem anderen, beginnen wir mit den theoretischen Grundlagen:
Die Begründungsdimensionen im Überblick
Die kreisrunde Grafik zum Ausdrucken & Das-Lehrerzimmer-Tapezieren kannst du unter den folgenden Links abrufen:
1. Begründungsdimension: Theoretisch
Fernab jeglicher Stundenziele, so facettenreich sie sein mögen, eint es uns als Lehrende, dass wir einen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfüllen haben, der in der Bundesrepublik durch die Schulgesetzgebung der Länder in Form von Lehrplänen & Co. geregelt wird. Je nachdem, wie alt so eine gesetzliche Vorgabe ist, darf mit gutem Grund angezweifelt werden, ob es historisch gesehen überhaupt im Rahmen des Möglichen liegt, dass die Verfasser Smartphones und Tablets kannten. Gleichwohl lassen sich in diesen Verordnungen Schlagworte von überzeitlicher Dimension finden, die mit der Digitalisierung in Verbindung gebracht werden können, wie ich anhand ausgewählter Beispiele auf der folgenden Folie zeigen möchte:
Der Auftrag, den wir zu erfüllen haben – die SuS zu mündigen Bürgern zu machen – kreist um Schlagworte wie Übernahme von Verantwortung, das Bekenntnis zur Demokratie und die Vorbereitung auf den Beruf. Debatten um Hass-Kommentare oder Cybermobbing-Vorfälle verdeutlichen in schmerzhafter Weise, dass die Achtung vor anderen Menschen auch im Jahr 2017 noch lange nicht selbstverständlich ist. Nicht zuletzt die Diskussion um Fake News im Zusammenhang mit der Bundestagswahl im September haben uns gezeigt, dass gerade auch das Internet ein Ort ist, der den verantwortungsvollen Umgang mit Freiheit erfordert und dass es mehr denn je erforderlich ist, zur selbstständigen Urteilsbildung fähig zu sein. Die Schnelllebigkeit der Gegenwart macht es notwendiger denn je, lebenslang zu lernen – nicht nur im Hinblick auf die Arbeitswelt. Und wenn uns all das auf der theoretischen Ebene noch nicht genügt, rufen wir uns vor Augen, dass wir SuS nicht nur mit überliefertem Bildungsgut vertraut machen sollen, sondern auch mit neuem. Eine Formulierung, die – zugespitzt formuliert – jedem Lehrenden die selbstständige Aktualisierung des Lehrplans auferlegt, sobald etwas Relevanz erlangt.
Dementsprechend selbstverständlich ist auch meine Folgerung: Sollen wir mündige BürgerInnen bilden und erziehen, müssen wir uns an ihrer Lebensrealität orientieren. Man muss keinen einzigen Youtube-Influencer kennen, um zu wissen, dass es eine ganz gewaltige Erschütterung unseres Alltagslebens bräuchte, um die Smartphones aus den Händen und Hosentaschen der Kinder und Jugendlichen wegzukriegen. Gleichzeitig werden sie allein durch die Nutzung der Geräte nicht automatisch dazu befähigt, dies in reflektierter Weise zu tun, sondern müssen – ebenso wie wir zur verantwortungsvollen Nutzung des Wissens in Buchform erzogen wurden ^^ – dazu angeleitet werden. Dafür braucht es die entsprechende Einbindung in durch Experten gestaltete Lerngelegenheiten. Auf diesen Punkt werden wir bei der dritten Begründungsdimension erneut zurückkommen.
2. Begründungsdimension: Pragmatisch
Für diejenigen, die sich in ihrem überwiegend analogen Workflow eingerichtet haben, steht vor der Digitalisierung des Lehrens und Lernens ein großer Mehraufwand, denn sie müssen zuerst grundlegende digitale Kompetenzen erwerben, die sie sie vorher nicht benötigt haben. Aus der Perspektive desjenigen, der nicht absehen kann, inwiefern dieser Kompetenzgewinn auch wirklich eine Verbesserung mit sich bringt, ist es möglicherweise weniger kräfte- und nervenzehrend, gewohnte Arbeitsweisen beizubehalten statt mit ungewissem Ausgang Neues zu probieren.
Erinnern wir uns an das Video, das wir zum Einstieg angesehen haben, stellen wir fest, dass es Prozesse gibt, die in digitaler Form längst zum gesellschaftlichen Usus geworden sind: E-Mails haben sich als Kommunikationsform längst durchgesetzt (und sind in gewissen Bereichen durch Messengerdienste schon wieder überholt) und auch das Abfassen von Texten mit Textverarbeitungssoftware wird zweifellos der mühsamen Arbeit mit der Schreibmaschine vorgezogen. Bei der Unterrichtsgestaltung bedarf es jedoch häufig anderer Lösungen, um die Flexibilität zu ermöglichen, die ein analoges System bieten kann, das der Anwender auf seine Bedürfnisse zugeschnitten entwickelt hat. Freilich hängt es zudem stark davon ab, über welche Ausstattung man am heimischen und schulischen Arbeitsplatz verfügt und mit welchem Aufwand – organisatorisch und finanziell – es verbunden ist, supoptimale Bedingungen zu verändern.
Gleichwohl zeigen sich auch bei eher
„analogen“ KuK zumindest im Bereich der Unterrichtsvorbereitung
Elemente der Digitalisierung, die bereits nicht mehr wegzudenken sind: Das Internet
erleichtert die Recherche nach Wissensbeständen und Unterrichtsmaterialien, E-Mails und Cloudservices (z.B. Dropbox, GoogleDrive) ermöglichen die
Kollaboration mit KuK und wenn die nötige Ausstattung vorhanden ist, ist es
deutlich bequemer, einen USB-Stick in die Schultasche zu packen als
mühsam OHP-Folien am Kopierer zu brennen und sich dabei
ein lautes Fluchen zu verkneifen.
Blicken wir über diesen Tellerrand, stellen wir fest, dass es mittlerweile für fast alles die passende App gibt: Ob Gruppeneinteilung via „TeamShake“, Unterrichtsplanung mit PowerPoint, Zeitanzeige mit dem Timer des Tablets oder die Vereinfachung des Classroom-Managements via Classroom Screen – mein Lehreralltag wäre komplizierter, gäbe es all das nicht. An dieser Stelle kann ich nur Schlagworte nennen, denn es ist unmöglich, alle Apps und Tools aufzuzeigen, die man für den Unterricht verwenden könnte. Einen Eindruck davon kann aber sicherlich Alicia Bankhofers „Glossar der Webtools und Digitalen Medien“ vermitteln.
Dass PC bzw. Tablet All-In-One-Wunder sind, setzt Kapazitäten frei, die es mir ermöglichen, mich besser auf die SuS und ihre Anliegen zu konzentrieren. Ich bin deutlich entspannter, sobald der PC hochgefahren und meine PPP gestartet sind, weil es die digitalen Medien ermöglichen, Inhalte und Management-Aspekte direkt für den Einsatz vorzubereiten.
Der Unterricht läuft flüssiger, wenn es weniger
Umbaupausen gibt und trotzdem verschiedene Medien zum Einsatz kommen.
Arbeitsphasen laufen zügiger an, wenn der Arbeitsauftrag projiziert wird statt
ihn mehrmals bis ihn auch der letzte gehört hat zu erklären und so wird es auch leichter, den SuS die Verantwortung für ihren
Lernprozess zu übertragen, weil Klarheit und Transparenz gestärkt werden.
Auf das Glossar der Webtools und Digitalen Medien von @aliciabankhofer habe ich bereits verwiesen und ich kann nur dazu ermuntern, sich diese Liste anzusehen und die passenden Apps für sich herauszusuchen – es lohnt sich ganz sicher!
Aber schon die „Grundfunktionen“ der Geräte offenbaren Möglichkeiten, nach denen wir uns in meiner (gar nicht mal soooo lange zurückliegenden) eigenen Schulzeit die Finger geleckt hätten: Alle SuS, die über ein Smartphone verfügen, haben einen großen Brockhaus (= Internetzugang), eine Foto- und Videokamera, ein Diktiergerät und ein Textverarbeitungsprogramm (= Notizen-App) in der Hosentasche. Zahlreiche Projekte, die vorher quasi unmöglich waren, sind nun zu bewerkstelligen, wenn man sie nur die Geräte einschalten lässt.
So konnten meine liebe Kollegin T. und ich beispielsweise bei den Projekttagen im letzten Schuljahr nach nur zwei Arbeitstagen drei Mini-Western bestaunen, die die SuS-Gruppen selbstständig gedreht hatten, wobei keine der Gruppen technisches Gerät von uns benötigt hat. Wir konnten uns auf grundlegende Anleitungen zum Dreh von Filmen beschränken, weil sie den Rest selbstständig mit ihren eigenen Smartphones und Laptops in Kleingruppen bewerkstelligten.
3. Begründungsdimension: Fatalistisch
Im Anschluss an die theoretischen und pragmatischen Begründungszusammenhänge widmen wir uns einer Umkehrung der Fragestellung: Was würde eigentlich passieren, wenn wir das mit der Digitalisierung einfach nicht mitmachen?
Erinnern wir uns an das Video, das die Evolution des Schreibtisches zeigte. Versuchen wir, dies auf das Klassenzimmer bzw. unseren Unterricht anzuwenden. Stellen wir uns die Frage: Was hat sich hier in den letzten 35 Jahren verändert? Zugegeben, 35 Jahre sind ein langer Zeitraum, den bei Weitem nicht alle KuK mit eigenen Erfahrungen füllen können. Auch ich habe Schwierigkeiten, diesem Arbeitsauftrag gerecht zu werden, aber zumindest für die letzten 15 Jahre – den für den Einzug von digitalen Geräten maßgeblichen Zeitraum – kann ich recht verlässliche Aussagen treffen.
Tue ich das konsequent und ohne zu beschönigen, muss ich sagen, dass mein (Alltags-) Unterricht häufig nicht sooooo weit weg von dem ist, was ich als Schülerin am Gymnasium kennengelernt habe: Viel zu viel findet nach wie vor analog statt. Klar, der Beamer ist ein Alltagsgerät – aber das, was mit ihm passiert, hat auch manchmal noch Ähnlichkeit mit der Verwendung des OHPs früher. Der Computerraum findet in meinen Überlegungen zwar immer öfter Berücksichtigung, aber „Smartphones raus, recherchieren!“ sage ich sehr selten.
Das hat natürlich einerseits mit der
Geräteverfügbarkeit und dem Funkloch im Schulhaus zu tun, andererseits aber sicher auch damit, dass wir beim Lehrer-Werden
mehrere Sozialisationsstufen durchlaufen und es in besonderem Maße von der
intrinsischen Motivation abhängt, welche davon wir erreichen (wollen): Gerade
dann, wenn man noch recht neu im Geschäft ist, neigt man dazu, zunächst
aus der eigenen Schulzeit (1. Sozialisationsphase) Bekanntes zu
reproduzieren, um sich in der Aufgabenfülle zurechtzufinden und sie
bewältigen zu können. Dann gelangt man hoffentlich dazu, Neues
auszuprobieren, um den eigenen Weg des Unterrichtens zu finden (2.
Sozialisationsphase) und sich – so das Ideal – bis zur Pensionierung im Rahmen
der sich stetig ändernden Sozialisationsbedingungen alias Lebenswelt immer
wieder neu zu erfinden (3. Phase – oder auch „einfach“: lebenslanges
Lernen).
Wie wir bereits festgestellt haben, sind digitale Medien schon längst integraler Bestandteil der Sozialisationsbedingungen der SuS. Geben wir diesen in der Schule keinen Raum, bleibt es möglicherweise bei mangelhaften Fertigkeiten der SuS in ihrer Nutzung. Wer Medien nur zum Vergnügen nutzt, tut dies in vollkommen anderer Weise als der, der mit ihnen arbeiten muss. Das gilt für Bücher wie für Computer. Auch wenn ich mich persönlich dagegen verwehren möchte, dass Bildung allein auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnitten werden sollte, muss an dieser Stelle natürlich auf den Technologiestandort bzw. die dafür erforderliche Expertise der zukünftigen Arbeitnehmer (und natürlich auch -geber ^^) verwiesen werden. Erinnern wir uns hier an die erste Begründungsdimension und die Schulgesetzgebung: Es gehört schlichtweg zu unserer Aufgabe, die SuS auf Ausbildung und Studium vorzubereiten.
Gesellschaftlich mindestens genauso schwerwiegend ist es aber, wenn es aufgrund der Ausblendung von digitalen Medien in der Schule dazu kommt, dass die Lernenden nicht dazu angeleitet werden, eine kritische Reflexionshaltung gegenüber der Mediennutzung und den dargebotenen Informationen einzunehmen. In der digitalen Welt ist es ungleich schwieriger als in der analogen, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden. (Woher weißt Du beispielsweise, dass dieser Blog eine seriöse Quelle ist? )
Kindern und Jugendlichen muss frühzeitig durch geeignete Lerninhalte bewusst gemacht werden, was es bedeutet, dass Freiheit mit Verantwortung verbunden ist. Ob es um die Nachrichtenauswahl geht, die von Algorithmen bestimmt wird, oder um angemessenes Verhalten in Kommentarspalten und Messengerdiensten – digitale Medien bringen Freiheiten mit sich, über die reflektiert werden muss. Natürlich ist das Internet kein rechtsfreier Raum, aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen wird es sich aber so anfühlen, solange die Erwachsenen sie dort allein lassen, im positiven wie im negativen Sinne. Wie sollen sie verstehen, dass die digitale Realität neben der analogen existiert und dass für diese die gleichen Regeln gelten, wenn wir so tun, als gäbe es sie gar nicht?! Und damit sind wir bei einem weiteren Punkt auf der Liste der Horrorszenarien:
Sich der Digitalisierung zu verschließen, hätte nicht nur auf die Gesellschaft negative Auswirkungen, sondern auch auf die Schule selbst: Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Schule (überhaupt) einen Lebensweltbezug hat. Verbannen wir Smartphones und Tablets, statt ihnen einen sinnvollen Verwendungsrahmen zuzuweisen, verstärkt sich der Eindruck, dass wir ganz weit weg von unseren SuS sind. Und je mehr sie diesen Eindruck haben, desto weniger sind sie bereit, sich auf unseren Unterricht und unser Bemühen, ihnen etwas beizubringen, einzulassen. Lehren funktioniert über die interessante Gestaltung von Inhalten, aber es hat zugleich auch etwas mit der Lehrer-Schüler-Beziehung zu tun. Diese aufzubauen ist für uns auch damit verbunden, Interesse an ihrer Lebenswelt zu zeigen und sie ernst zu nehmen.
Gleichzeitig verschenken wir wertvolle Zeit, wenn wir die Digitalisierung nur den Wirtschaftsunternehmen überlassen, die in freudiger Erwartung satter Gewinne um das Marktpotenzial wissen, das die Schulen darstellen. Gewinnen sie mit ihren Entwicklungen immer mehr an Vorsprung, könnte es uns damit irgendwann so ergehen wie mit Schulbüchern, wo wir aus zugelassenen Werken auswählen „dürfen“, die uns die Arbeit erleichtern sollen, teilweise aber auch Freiheiten beschränken: Lernplattformen, die von finanziellen Interessen bestimmt werden, werden zwangsläufig nach anderen Gesichtspunkten entwickelt als solche, die die bestmögliche Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags zum Ziel haben. Überspitzt könnte man sagen, dass wir, wenn wir die Digitalisierung nicht berücksichtigen, unserem Anspruch als Bildungsinstitution nicht gerecht werden. Das Bildungsmonopol, das die Schulen einst hatten, ist längst verloren, weil das Lernen durch die mannigfaltigen Möglichkeiten des Internets jeden Tag ein Stück mehr demokratisiert wird. Wenn Sommers Weltliteratur ihnen den Faust in 9 Minuten erklärt und MrWissen2go ihnen wöchentlich relevante Themen nahebringt, werden früher oder später von ihnen diese Frage stellen lassen müssen: Was legitimiert Schule als Institution, wenn Bildung auch durch Lernvideos erworben werden kann?
Diese Demokratisierung des Lernens ist begrüßenswert – und in Zeiten steigender Anforderungen schlichtweg notwendig. Gleichzeitig bedeutet das für uns als Lehrende, dass wir unsere Expertise unter Beweis stellen müssen und umso mehr in der Pflicht sind, den SuS zu zeigen, dass eine Institution wie die Schule nicht nur Antworten auf altbekannte Fragen hat, sondern, dass dieses grundlegende Lernen unbedingt notwendig ist, um sich im undurchsichtigen Dschungel der Informationen, die online auf uns einprasseln, zurechtzufinden. Gelingt uns das nicht, werden wir dabei zusehen können, wie das Ansehen des formellen Lernens schwinden wird, je attraktiver informelle Angebote werden. Das klingt jetzt – wir erinnern uns an die Zwischenüberschrift – reichlich fatalistisch. Glücklicherweise bin ich ja doch ein Fan von Schule und mir fallen einige Gründe ein, die dagegensprechen, das abschlussrelevante Wissen in Zukunft durch das Ansehen von Youtube-Videos & Co. zu erwerben und nur noch für die Prüfung an einem Ort zusammenzukommen:
Abgesehen von Schulpflicht, Noten und der Betreuungszeit für die werktätigen Erziehungsberechtigten hat Schule also sehr wohl etwas zu bieten: Denn auch wenn sie ihr Bildungsmonopol eingebüßt haben mag, kann Schule eine im Positiven einzigartige Institution sein, weil sie ein Ort ist, an dem SuS in sozialen Gruppen während gemeinsamer Präsenzzeit von Experten begleitet lernen und individuell gefördert und gefordert werden, um für das Leben nach der Schule vorbereitet zu sein.
Dessen müssen wir uns aber in unserer täglichen Arbeit bewusst sein und neue Herausforderungen wie die Digitalisierung in Angriff nehmen, um zu zeigen, dass sich Schule der Lebenswelt nicht verschließt, sondern sie aktiv mitgestaltet, indem sie SchülerInnen in einer Weise ausbildet, wie es im Rahmen informeller Bildungsangebote nicht möglich ist.
4. Begründungsdimension: Idealistisch
Als wir uns innerhalb der ersten (theoretischen) Begründungsdimension mit der Schulgesetzgebung befasst haben, haben wir uns quasi schon mit Input und Output vertraut gemacht. Wir alle kennen die Lehrpläne und die Bildungsstandards, die formulieren, wozu die SuS an einem bestimmten Punkt ihrer Schullaufbahn durch unseren Unterricht befähigt worden sein sollten.
Auch die Didaktik, so könnte man meinen, macht uns theoretische Vorgaben. Ihre Maßgaben zu befolgen hat in der Realität allerdings häufiger etwas mit Idealismus zu tun. Denn wenn unser Ziel klar, die Zeit für dessen Erreichen aber (zu) knapp bemessen oder der Stressteufel hinter dem Lehrenden her ist, geht das oft zu Lasten didaktischer Prinzipien, die sich den theoretischen Vorgaben unterordnen müssen.
An dieser Stelle könnte man für jedes Fach und jede Schulart spezifische Ausführungen erstellen, im Rahmen eines (ohnehin schon extrem langen ^^) Impulsbeitrags zu den Argumenten für die Digitalisierung ist es allerdings weder möglich noch zielführend, das zu leisten. Stattdessen möchte ich anhand der allgemein anerkannten „Zehn Merkmale guten Unterrichts“ von Hilbert Meyer exemplarisch darlegen, wie diese durch Digitalisierung einfacher oder besser erfüllt werden könnten.
In der folgenden Liste sind also stichpunktartig Ideen festgehalten, die ich spontan mit den Meyerschen Prinzipien in Verbindung gebracht habe. Die Liste ist allgemein gehalten und enthält wirklich nur erste Assoziationen, ermöglicht aber hoffentlich trotzdem einen Eindruck davon, wohin die Reise gehen kann. Dabei habe ich versucht, Anknüpfungspunkte durch Links und Schlagworte zu verdeutlichen und so eine weitere Recherche zu initiieren:
- 1. Klare Strukturierung des Unterrichts
- Lässt sich beispielsweise durch den Einsatz von Präsentationssoftware als Unterrichtshelfer vereinfacht umsetzen
- Ziel- und Inhaltsklarheit können durch Bereitstellung von Informationen auf digitalem Weg (Webseite/ Lernplattform) verbessert werden
- 2. Hoher Anteil echter Lernzeit
- digitale Medien als „eierlegende Wollmilchsau“ zur Verringerung der Dauer von Umbaupausen (vgl. 2. Begründungsdimension)
- Auslagerung von organisatorischen Aspekten, z.B. in digitale Lernplattformen oder passwortgeschützte Blogs mit Kommentarfunktion
- 3. Lernförderliches Klima
- Verantwortungsübernahme kann auch online erfolgen, z.B. für ein gemeinsames Projekt wie einen Klassenblog
- gegenseitiger Respekt kann z.B. durch anonymisiertes Arbeiten in einem Chat/ Messenger oder auf einem Blog gefördert werden
- 4. inhaltliche Klarheit
- digitale Medien ermöglichen das vereinfachte Teilen längerer Aufgabenstellungen für alle Sozialformen
- Monitoring des Lernverlaufs z.B. über To-Do-Listen- oder MindMapping-Apps (Wunderlist, Coggle, SimpleMind+)
- Vielfalt der Formen der Ergebnissicherung mit digitalen Medien kann Lernprozess besser abbilden (> Stichwort: interaktives Tafelbild, digitale Pinnwände wie Pinterest oder Pearltrees)
- 5. Sinnstiftendes Kommunizieren
- Vereinfachte Planungsbeteiligung durch Kommunikation mit digitalen Medien, z.B. mit ZUMPad
- Schülerfeedback kann durch Apps wie Answergarden adhoc eingeholt werden
- Führen von digitalen Lerntagebüchern als Blogs, Vlogs (= Video-Blogs) oder mit Gestaltungsapps wie Sway/ PowerPoint/ Keynote etc.
- 6. Methodenvielfalt
- digitale Inszenierungstechniken sowohl bei der Unterrichtsgestaltung als auch bei der Inszenierung von SuS-Arbeiten, z.B. durch vereinfachte Medienpräsentation via PC/ Beamer
- Vielfalt an medialen Produkten ermöglicht unterschiedlichste Lernprozesse und Kompetenzanforderungen auf verschiedenen Niveaus: Erstellen von Videos, Audios und Medienverbünden
- 7. Individuelles Fördern
- selbstständigeres Arbeiten der SuS mit digitaler Unterstützung ermöglicht es, sich mehr Zeit für den Einzelnen zu nehmen
- individualisierte Übungsangebote können z.B. im Rahmen digitaler Lerntheken zur Verfügung gestellt werden (> QR-Codes für den einfachen Zugriff auf Informationen)
- 8. Intelligentes Üben
- vgl. individuelles Fördern
- Teilen von Anleitungen für Lernstrategien via Youtube
- methodische Variation durch verschiedene Apps leichter zu bewerkstelligen
- Augmented Reality als Grundlage für bisher unmögliche Anwendungsbezüge
- 9. Klare Leistungserwartungen
- VocalRecall ermöglicht zielgenaue Audio-Rückmeldungen für SuS beim Korrigieren
- Lernplattformen als Ort für den Austausch über Anforderungen, die dort auch verlässlich gesichert werden können > Transparenz
- 10. Vorbereitete Umgebung
- Tools wie Classroom Screen unterstützen das Classroom Management
- digitale Raumregie kann auch bei wechselnden Räumen einfacher „mitgenommen“ werden, um verlässliche Ordnung in dieser Hinsicht zu gewährleisten
Auch wenn es auf den ersten Blick sicherlich überfordernd wirkt, das zu erfassen, was mit den einzelnen Stichpunkten gemeint ist, wird durch diese Liste hoffentlich eines deutlich: Die Digitalisierung vermag Antworten auf alle zehn didaktischen Prinzipien Meyers zu liefern, bietet also ein riesiges Potenzial bei deren Verwirklichung im Unterricht. Dieser Grundsatz lässt sich auch auf fachspezifische didaktische Prinzipien übertragen.
5. Begründungsdimension: Visionär
Wir haben uns mit theoretischen und praktischen Fragen beschäftigt, mit Idealen und mit dystopischen Szenarien – da ist es in der letzten Begründungsdimension dringend an der Zeit, Utopien bzw. Visionen in den Blick zu nehmen. Wie schon im Beitrag „Es geht nicht um uns“, in dem ich über die Bedingungen solcher Impulse nachgedacht habe, wie ich sie mit dem vorliegenden Beitrag liefern möchte, zitiere ich Oscar Wilde:
“A map of the world that does not include Utopia is not worth even glancing at, for it leaves out the one country at which Humanity is always landing. And when Humanity lands there, it looks out, and, seeing a better country, sets sail. Progress is the realisation of Utopias.”
[„Eine Weltkarte, auf der Utopia nicht verzeichnet ist, ist es nicht wert, dass man einen Blick auf sie wirft, weil sie dieses eine Land ausspart, wo die Menschheit immer anlandet. Und wenn die Menschheit dort ankommt, sieht sie sich um und setzt – ein besseres Land vor Augen – die Segel. Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien.“]
Sicherlich haben die meisten von uns, als sie den Beruf des Lehrenden ergriffen haben, auch Gedanken an die verschwendet, die ihre eigene Schulzeit nicht reicher gemacht haben, weil sie ihnen kein Lehrer waren, wie sie ihn sich gewünscht hätten. Wenn wir diesen Anspruch an uns selbst ernstnehmen, bedeutet das natürlich auch, dass wir Visionen entwickeln und umsetzen müssen, um Schule entwickeln zu können und nicht im althergebrachten Trott zu verharren.
Axel Krommer, „DER advocatus diaboli in Sachen Digitale Bildung im deutschsprachigen Raum“ (Kai Wörner), zeigt mit diesem Zitat sehr anschaulich, was digitale Medien für das Lehren und Lernen bedeuten können, indem er sie mit Verkehrsmitteln vergleicht:
„Wer in einer Gesellschaft lebt, in der die Postkutsche das schnellste Verkehrsmittel darstellt, kommt gar nicht auf die Idee, zum Einkaufen von Nürnberg nach München zu fahren, während dieses Reiseziel für einen Bahnfahrer mit dem ICE durchaus in Reichweite liegt.“
Krommer, Axel (2015): Welchen Mehrwert haben digitale Medien für das schulische Lernen? Ich hoffe, dass dieses Zitat auch zeigt, dass wir vor den digitalen Medien eigentlich keine Angst zu haben brauchen. Als Geschichtslehrerin kenne ich natürlich die Befürchtungen der Zeitgenossen beim Aufkommen der Eisenbahn, als man dachte, dass die Fortbewegung mit dieser Geschwindigkeit schädlich für den Menschen sein könnte. Gleichzeitig sind wir schon längst eines Besseren belehrt: Wir wissen, dass wir mit dem ICE von Nürnberg nach München fahren zu können, ohne ein lebenslanges Trauma durch den Geschwindigkeitsrausch zu erleiden. Wir haben Radfahren gelernt und auch wenn wir uns dabei die Knie manches Mal aufgeschlagen haben, genießen wir die daraus resultierende Flexibilität so sehr, dass die Stürze schnell vergessen waren. Ähnliches gilt für den Führerschein und – ich kann es nicht beurteilen, möchte es den Piloten und Astronauten aber gern glauben – für das Fliegen bzw. Reisen mit dem Raumschiff.
Heraklit wusste nichts von diesen Fortbewegungsmitteln und trotzdem ist uns seine Flusslehre bis heute erhalten geblieben und passt hervorragend in diesen Kontext:
„Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.“
Wenn er Recht hat – und davon gehe ich stark aus, sonst wäre er schon längst dem Vergessen anheimgefallen – dann können wir nichts Sinnvolleres tun, als unser Köfferchen zu packen und uns mit den neuen Verkehrsmitteln alias Medien auf die Reise zu begeben!
Natürlich brauchen wir für diese Reise Orientierung: Egal, ob wir eine Karte, einen Kompass oder doch ein GPS-Gerät bevorzugen: Die digitalen Medien werfen nicht nur Fragen für uns als Lehrende auf, sie liefern auch Antworten und das wichtigste Stichwort hierfür ist die Vernetzung: Erst seit März diesen Jahres bin ich auf Twitter und mit diesem Blog aktiv in der „Szene“ unterwegs. Wenn ich bedenke, was ich in dieser Zeit Dank so vieler inspirierender Menschen (die ich bisher fast ausschließlich digital erlebt habe) gelernt habe, dann bin ich stark versucht zu behaupten, dass ich erst dadurch meinen Weg gefunden habe, wie ich lebenslang lernen und mich weiterbilden möchte!
Die digitalen Medien demokratisieren nicht nur das Lernen für die SuS, sondern auch unsere Aus- und Weiterbildung als Lehrende, weil wir beispielsweise auf Twitter im wahrsten Metaphernsinne auf Augenhöhe diskutieren und uns austauschen können, wie es im Lehrerzimmer aufgrund der Schwierigkeiten des Analogen viel zu selten möglich ist. Auch an dieser Stelle kann ich bei Weitem nicht auf alles eingehen, was ich gerne nennen würde, um meine Begeisterung für die Digitalisierung mit dem bunten Leben zu füllen, auf die ich mich einlasse, wenn ich die Twitter-App öffne, mich zum Lesen der neuesten Blogartikel (ver-)leiten lasse und dabei mit jeder Minute neuen, wertvollen Input für mein Tun gewinne.
Exemplarisch sei daher das – extra von mir für diesen Beitrag neu in Szene gesetzte – 4K-Modell des Lernens genannt. Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration sind die Eckpfeiler, an denen es sich zu orientieren gilt. Ich bin mir sicher, dass wir uns darunter etwas vorstellen können und dass wir alle eine Vorstellung davon haben, wie wir diese Aspekte in unserem Unterricht befördern können. Als allgemein anerkanntes und vielfach zitiertes Modell der wichtigsten Kompetenzen für das Lernen im 21. Jahrhundert zeigen uns die „4K“ deutlich, dass wir für das Verständnis der Vorgänge keineswegs ein Promotionsstudium brauchen. Die didaktische Expertise, die wir uns erworben haben, wird nicht wertlos, weil wir digitale Medien einsetzen, sie wird wichtiger, indem wir sie um neue Aspekte ergänzen: Wir gewinnen immer mehr Möglichkeiten der Umsetzung, wie ich innerhalb der anderen Dimensionen schon zu zeigen versucht habe. Ich wage zu behaupten: Wer guten Unterricht machen will und seine SuS in den Blick nimmt, der achtet längst auf die im „4K-Modell“ benannten Kompetenzen.
Wer sich und seinen Unterricht entwickeln will, der sollte in den digitalen Medien nicht nur nach dem suchen, was er besser machen kann, weil er dann etwas anderes übersieht: Dass wir ebenso wie unsere SuS beim Lernen und Uns-Entwickeln Bestärkung brauchen, denn diese ist ebenso wertvoll wie Input. Und damit schließt sich der Kreis.
Fazit
Ich hoffe, dass ich es geschafft habe, meiner Begeisterung für die Möglichkeiten der Digitalisierung mit diesem Artikel Ausdruck zu verleihen – andernfalls wirkt es möglicherweise etwas hochgegriffen, dass mein persönliches Fazit (natürlich angelehnt an Kant) lautet:
Natürlich ist das überspitzt, natürlich waren wir vorher nicht unmündig, natürlich haben wir auch analog eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten, die auszunutzen uns im Alltagstrubel nur selten gelingt. Aber wenn ich mich umsehe im #Twitterlehrerzimmer, bei den #BayernEdu|s und #EduPnx, dann gelange ich zum Urteil, dass man das didaktische und methodische Potenzial, das uns die „neuen Medien“ bereits bringen und in Zukunft bringen werden, nicht hoch genug schätzen kann! (Und möglicherweise möchte ich auch zwischen den Zeilen zu deren aufgeklärtem Gebrauch ermuntern… #4K #KritischesDenken)
Zum Abschluss lasse ich Goethe und Steve Jobs sprechen und übereigne die Interpretation ihrer Aphorismen dem geneigten Publikum, denn ich habe mein Möglichstes getan, den Stoff anschaulich und umfassend aufzubereiten:
Ich freue mich auf euer Feedback!
Kristina
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Dieses Werk von Kristina Wahl (diefraumitdemdromedar.de) ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
Kommentare
4 Antworten zu „Warum sollten wir uns auf die Digitalisierung des Lehrens und Lernens einlassen?“
[…] aus Präsenz- und Distanzunterricht, also quasi „Hybridunterricht“ aussehen könnte. Ganz in der Tradition vorheriger Beiträge bekommst du zur Illustration meiner Ausführungen ein paar Präsentationsfolien […]
Waaaaaaaoooooh,
zutiefst beeindruckt von dieser genauen Analyse der Umstände. Argumentationspotential inklusive um die Kolleginnen und Kollegen anzusprechen.
Liebe Grüße
Josef
Vielen Dank für das große Kompliment, es ehrt mich sehr! 🙂
[…] Beitrag „Warum sollten wir uns auf die Digitalisierung des Lehrens und Lernens einlassen?“, den ich letzte Woche veröffentlichte, fand eine für die Verhältnisse dieses Blogs riesige […]